Kommentar von Ferdinand Wenzlaff zur Veranstaltung im Literaturhaus Hamburg am 2. Mai 2018
Ohne Anspruch einer adäquaten Zusammenfassung der Diskussionsrunde mit Ulrike Herrmann und Jürgen Neffe im Rahmen des Philosophischen Cafés werden folgend ausgewählte Punkte kommentiert, die auch Grundsatzfragen des Forschungsprogramms der Arbeitsgruppe WANG betreffen.
Vorangestellt sei bemerkt, dass aus unserer Sicht genau solche Übersetzungs- und Transferarbeiten wissenschaftlich reflektierter Journalisten eine wichtige Funktion für die gesellschaftliche Reflexion und Transformation zukommt. Solch dankbare journalistische und öffentlichkeitswirksame Arbeit erfüllt eine Brückenfunktion zwischen anderen Systemen wie Wissenschaft, Politik oder soziale/ökologische Bewegungen.
Spezialisierung der Arbeitskraft – Zwang oder Wunsch?
Der Gastgeber Reinhard Karl eröffnet die Diskussion mit einer bekannten Vision:
„Sowie nämlich die Arbeit naturwüchsig verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muss es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will – während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ (K. Marx, Dt. Ideologie, MEW 3, S. 33)
Beide Gäste können da nicht mitgehen, da z.B. ein Malerkünstler gerade umgekehrt meist nur noch malen (sich spezialisieren) möchte und gerade nicht anderen Tätigkeiten nachgehen möchte. Die „Aufdrängungsthese“ kann also nicht uneingeschränkt zutreffen.
Es geht daher weniger darum, sich nicht spezialisieren zu müssen, als darum, die Spezialisierung wählen zu können. Offenbar ist dies nicht möglich in Konstellationen struktureller Unterbeschäftigung, wo Menschen aus dem Zwang zur Einkommenssicherung spezialisierte Arbeiten annehmen müssen, die nicht ihren Vorstellungen entsprechen bzw. unter ihren Fähigkeiten liegen.
Warum Produktionsgenossenschaften nicht funktionieren
Damit ist das Thema Entfremdung von der Arbeit angesprochen. Aus dem Marxismus sowie vielen anderen Sozialreformen ist das Prinzip der Genossenschaft als Heilmittel bekannt. Hierzu hebt Ulrike Herrmann mit glaubhaften Verweis auf die empirische Evidenz hervor, der Produktionsgenossenschaft im Gegensatz zum Typus Konsumgenossenschaft bisher kaum Überlebenschancen hat. Als Begründung wurde der in der für die Produktionsgenossenschaft charakteristische Anspruch demokratischer Steuerung angeführt.
Jedoch kann Basisdemokratie und Hierarchie nicht so einfach kategorisiert werden. Hierarchie als erfolgreiches Gegenprinzip gilt nicht uneingeschränkt. Wie die Praxis und Managementliteratur zeigt, schwingt das Pendel stets, da reine Hierarchien die für die Marktwirtschaft notwendige Flexibilität, Anpassung und Innovationskraft nicht gewährleisten können. Jede Organisationsform auch außerhalb der Wirtschaft muss die Prinzipien Hierarchie und Basisdemokratie balancieren und kann langfristig nur scheitern, wenn sie sich auf eine Seite schlägt.
Aber es lässt sich ein anderes Argument für die These der Überlegenheit der Konsumgenossenschaft gegenüber der Produktionsgenossenschaft anführen: Konsumgenossenschaften operieren in der Zirkulationssphäre, was bedeutet, dass der Wert zwischen Produzent und Konsument festgesetzt wird. Produktionsgenossenschaften scheitern daran, dass sie bei Selbstverwirklichung und Demokratisierung im Bereich des Produktionsprozesses die „gesellschaftliche notwendige Arbeitszeit“ bzw. Erwartungen an die Leistung verfehlen. Die von Marx nicht angemessen zur Kenntnis genommene Werttheorie von Proudhon erkennt dieses Problem ganz genau und Proudhons Sozialreformen setzen daher weniger an der Produktion als in der Zirkulation an: Warenbänke und Arbeitswertzettel können nicht funktionieren – der Wert muss im Austausch zwischen Produzent und Konsument konstituiert werden. Es müssen nur die möglichst kostenfreien Umlaufsmittel (Geld, Kredit) ermöglicht werden.
Arbeitslosigkeit und technischer Fortschritt
Die Diskussionsrunde stieß widerholt auf den Problemkomplex Arbeitsfreisetzung durch Technischen Fortschritt – Unterbeschäftigung – Arbeitsverteilung. In Tradition zentraler Vertreter der klassischen politischen Ökonomie schein auch Marx von der Vorstellung einer konsumseitigen Sättigungstendenz auszugehen. Während Klassiker wie Mill wohl eher einen stationärer Zustand mit Verwertungsraten von 0 und Stillstand des technologischen Fortschritts bedachten, lässt bei Marx der weiterlaufende technologische Fortschritt die Grenzkosten (bzw. Werte) gegen 0 laufen. Mit dieser Konvergenz wäre jeder einzelne irgendwann arbeitsfrei, sodass „die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt“.
Nach empirischer Evidenz haben wir jedoch nur einen Teil des Fortschritts in eine Senkung der Arbeitszeit transformiert; den größeren Anteil transformieren wir in eine quantitative und/oder qualitative Erhöhung des Konsums. Die Marx’sche Vision, die uns von den Theoretikern vom Ende der Arbeit oder Grundeinkommensbefürwortern bis heute immer wieder aufgetischt wird, bleibt aber eine Denkfalle.
Zunächst erscheint der Zusammenhang unüberwindbar: Die Maschinen bzw. Roboter übernehmen große Teile der Produktionsschritte, sodass die Arbeit ersetzt und alle ersetzten Arbeiter arbeitslos werden. Analog herrscht ja die Vorstellung, die Staatsschulden lassen sich durch Ausgabenkürzungen finanzieren. Soweit der einzelwirtschaftliche Blick der Schwäbischen Hausfrau.
Volkswirtschaftliches Kreislaufdenken darf jedoch nicht so leicht in die Falle gehen. Zunächst müssen Maschinen entwickelt und gewartet werden, damit findet eine Verschiebung der Arbeit statt. Selbstverständlich werden insgesamt Kosten eingespart, denn sonst wäre der steigende Technikeinsatz nicht rentabel – unter Wettbewerbsbedingungen sinken aber nun die Kosten (z.B. Bekleidung). Der Konsument (Fischer) muss nun einen relativ geringeren Teil seines Einkommens für das Produkt aufwenden. Was macht er damit? Entweder leistet er sich mehr Bekleidung, er gönnt sich eine zusätzliche Massage, oder senkt seine Arbeitszeit. Im ersten Fall steigt die Produktionsmange bei unveränderter Beschäftigung im Textilsektor (Fortschritt wird in mehr Konsum transformiert) – im zweiten Fall findet sektoraler Wandel statt und der Textilarbeiter muss sich zum Masseur umschulen lassen (es wird ebenfalls mehr konsumiert, jedoch ändert sich die Konsumstruktur) – im dritten Fall setzt der Konsument durch seine Senkung der Arbeitszeit Arbeitskraftnachfrage in seinem Fischereisektor frei, sodass sich der Textilarbeiter als Fischer umschulen muss (nun stagniert der Verbrauch bei unveränderter Konsumstruktur, jedoch senkt sich die Arbeitszeit). Makroökonomisch interessant wird der vierte Fall, wenn weder Konsum erhöht, noch die Arbeitszeit gesenkt wird – und stattdessen Vermögen gebildet wird. Hieraus können Konstellationen einer mangelnden Gesamtnachfrage, Stagnation und Wachstumszwang entstehen (s. dazu unsere Arbeitspapiere). Diese Probleme haben jedoch weniger mit Technischem Fortschritt als mit Sparquoten und Einkommensverteilung zu tun.
Wie man es dreht und wendet, technischer Fortschritt kann den Konsum erhöhen, die Arbeitszeit senken und sektoralen Wandel befördern, erklärt aber niemals strukturell-chronische Arbeitslosigkeit. In einer monetären Ökonomie, in der sich Ausgaben und Einnahmen, finanzielles Vermögen und Schulden, Haben und Soll, sich stets und notwendig zu Null saldieren, ist diese Vorstellung logisch ausgeschlossen. Für die Erklärung der Arbeitslosigkeit und Ungleichheit muss man in den Bereich der (monetären) Makroökonomie eintauchen und sich (keynesianische) Kategorien wie Zinssatz und effektive Nachfrage anschauen. Es wird unsere Aufgabe bleiben, mit der Vorstellung vom technischen Fortschritt anhand einer umfangreichen Recherche und argumentativ überzeugenden Nachweises aufzuräumen.
Schlusswort
Abschließend sei gesagt, dass ein Kommunismus oder – dasselbe in leichterem Gewand: Grundeinkommensökonomie – natürlich möglich ist. Nur die Begründung ist falsch! Man muss schon offen sagen, dass man sich vom Wertprinzip verabschieden will und sich nicht mehr Werte gegen Werte tauschen sollen. Dies kann man wollen und begründen – aber eben nicht mit dem Märchen vom Ende der Arbeit durch technischen Fortschritt.
Ferdinand Wenzlaff