Home > Allgemein > Selbstransformation der Wirtschaft und die Rolle der Unternehmen

Vom 16. bis zum 18.11. haben Ferdinand Wenzlaff und Anne Löscher an der Tagung 10 Jahre nach der Weltfinanzkrise: New Economic Thinking – Beginn einer Transformation der Wirtschaftswissenschaft und –politik in Hamburg teilgenommen. Die Tagung wurde von dem Zentrum für Ökonomische und Soziologische Studien (ZÖSS), dem Arbeitskreis Politische Ökonomie und dem deutschen Ableger der World Economics Association (WEA) ausgerichtet. Der erste Teil eines Konferenzprotokolls befindet sich hier.

Diese Session stellte das Kollaborationsprojekt von Christian Neuhäuser (Zur Notwendigkeit einer großen Transformation aus philosophischer Sicht), Uwe Schneidewind (Transformative Unternehmen als Rollenmodelle) und Marc Hübscher (Sind transformative Unternehmen nur eine ‚Nischenerscheinung‘?) vor. Die Anmoderation formulierte den Anspruch einer neuen Theorie der Firma, die die aktuellen Entwicklungen und perspektivischen Möglichkeiten der Rolle von Unternehmen in der gesellschaftlichen Transformation in ein nachhaltiges Modell inegriert.  Schneidewind erklärt jedoch in der Diskussion, dass der Fokus auf Unternehmen in diesem Projekt nur ein Baustein in der Transformation bildet, während der zentrale Hebel in seinem Buch Die Große Transformation: Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels (2018) zivilgesellschaftliche Initiativen bleiben.

Für das transformative Potenzial der Unternehmen ist für die Autoren die Eigentumsform eine zentrale Variable. Sie stellen eine Typologie auf, die zwischen privaten, öffentlichen, genossenschaftlichen und  Familien- und Stiftungsunternehmen unterscheiden. Schneidewind erklärt ferner, dass die Unternehmensformen ohne Renditezwang mehr Spielräume für nachhaltig-transformatives Verhalten habe. Dieser Gedanke wird dann jedoch nicht weiter verfolgt.

Hier setzte die  Nachfrage von Ferdinand Wenzlaff an: „In den aktuellen volkswirtschaftlichen Diskursen zu Wachstumszwang, Secular Stagnation und Overcoming the Zero Lower Bound wird die Auffassung deutlich, dass Zinsen dauerhaft fallen werden bzw. müssen. Im Fall negativer Zinsen müssen auch die Renditen fallen, sodass dann auch der gewünschte Spielraum durch geringeren Kapitaldienst seitens der Unternehmen entstehen würde. Welches Potenzial sehen Sie daher in einer Flankierung Ihrer Ziele durch die Forderung nach negativen Zinsen?“ Die Antwort von Hübscher darauf lautete: „Es ist empirisch bewiesen, dass Zinsen und Rendite in keiner Beziehung zueinander stehen. Nur weil die Zinsen fallen, würden die Renditen nicht fallen.“ Auch wenn die meisten Ökonomen uneinig über die Erklärung des Ursprungs der Ertragsraten sind, so hört man doch eher selten die Vorstellung, dass sich die risikobereinigten Renditen von Aktien völlig unabhängig von den Renditen anderer Wertpapiere oder der Zinsen für Festanlagen entwickeln. Wären die Aktienrenditen dauerhaft und systematisch über den Ertragsraten anderer Aktiva, warum würden Vermögensbesitzer niedrige Renditen für die anderen Aktiva hinnehmen? Oder umgekehrt: Wenn das Marktniveau der Renditen aller Nominalvermögensaktiva fällt, wie können Aktionäre weiterhin dauerhaft hohe riskobereinigte Renditen durchsetzen?

Der Fokus der Autoren liegt jedoch nicht auf dem Kapitalmarkt, sondern in der Strategiebildung von Unternehmen und deren transformativem Handeln. Die Diskussionsbeiträge identifizieren eine Reihe konzeptioneller Unvollkommenheiten in der gegenwärtigen Praxis. Zum Beispiel zeigt Hübscher an der Geschichte des Konzeptes bzw. der Umsetzung von „Corporate Responsibility“, dass dies oft nur vom Kerngeschäft entkoppelte Wohltätigkeit ist. Jedoch bleibt unklar, inwiefern es sich bei der von den Autoren vorgeschlagenen strategischen Umorientierung anhand den Sustainable Development Goals etwas anderes als die symbolischen Entkopplungspraktiken der Auditierung, Zertifizierung oder Charity-Maßnahmen handelt. Ein anderer Diskussionsbeitrag arbeitet heraus, dass die Argumentation eigentlich keinen Erklärungsbeitrag liefere, sondern lediglich die Notwendigkeit nachhaltigen Handelns postuliert und Tendenzen in dieser Richtung beobachtet. Dem angekündigten Anspruch der Formulierung einer alternativen „Theorie der Firma“ wird das Forschungsvorhaben damit noch nicht gerecht.

Das Thema bleibt jedoch relevant und spannend, sodass die Weiterentwicklung diesen Ansatzes wert ist, weiterverfolgt zu werden. Besonders sympathisch ist die konstruktiv-optimistische Grundhaltung der Autoren. Zum Beispiel antwortete Schneidewind auf einen resignierten Diskussionsbeitrag, wonach Transformation aufgrund schwindender linker politischer Mächte immer aussichtsloser werde, dass zwar linke politische Kräfte stetig schwinden, aber damit nicht Gestaltungsmehrheiten in der Gesellschaft: Veränderungswillige Menschen gehen nicht mehr in die Politik, sondern engagieren sich in zivilgesellschaftlichen Organisationen oder eben – so die These – zunehmend auch als Unternehmer. Diese erfrischende „apolitische“ Perspektive auf Transformation wird auch differenzierungstheoretischen Konzepten der komplexen modernen Gesellschaft gerecht, wonach das politische System nicht über der Gesellschaft steht und diese steuert, sondern selbst nur Teil einer komplexen Selbststeuerung der Teilsysteme ist.

Ferdinand Wenzlaff