Home > Über uns > Wachstumszwang

Die Leitfragen dieses Forschungsprojekts sind:

Inwieweit ist unser Wirtschaftssystem auf Wachstum angewiesen, um seine eigene Stabilität nicht zu gefährden? Eröffnen sich der Politik hier neue, bisher übersehene Gestaltungsspielräume, um das Wachstumsparadigma zu überwinden?

In der Nachhaltigskeitsdebatte wird kontrovers bezüglich der Existenz von „Wachstumszwängen“ oder „Wachstumstreibern“ diskutiert. Handelt es sich bei Wachstumsfixierung um eine Frage der Mentalität, oder besteht ein struktureller Wachstumszwang? Das Ziel dieses Projekts ist es, einen vollständigen und detaillierten Überblick über den aktuellen Stand der Debatte zu erstellen, die Ursachen zu kategorisieren und zu bewerten. Gegenstand der Arbeit ist einerseits wissenschaftliche Forschung, andererseits die Aufbereitung für den öffentlichen und politischen Diskurs.

Wir haben uns seit 2011 intensiv mit dem Konzept eines „Wachstumszwangs“ befasst, mit einem besonderen Schwerpunkt auf der monetären Ökonomie. Im März 2012 haben wir das Symposium Geld und Nachhaltigkeit durchgeführt und den ersten Zwischenbericht veröffentlicht. Es folgte der Workshop Bedingungen einer stationären Ökonomie im Juni 2013, aus dem ein Arbeitspapier Theoretische Zugänge eines Wachstumszwangs in der Geldwirtschaft entstand. Seitdem haben wir unsere Perspektive über das Finanzsystem erweitert und im Februar 2017 mit Kooperationspartnern den Workshop Wachstumszwang? Wirtschaftliche Sachzwänge zwischen Rhetorik und Realität durchgeführt.

Erkenntnis unserer Analyse zu monetären Wachstumszwängen ist, dass ein systemischer Wachstumszwang unabhängig von Entscheidungen der Akteure nicht gegeben ist. Das Papier „Consistency and Stability Analysis of Models of a Monetary Growth Imperative“ (Ecological Economics 136, p. 114–25, 2017) ist die Analyse zweier Argumentationslinien, dass im Geldsystem an sich ein systemischer Wachstumszwang begründet liege: Verdächtigt werden zum einen zinstragendes Kreditgeld, zum anderen das Horten von Gewinnen durch die Geschäftsbanken. Beide Argumentationslinien sind aus unserer Sicht unplausibel und daher zurückzuweisen. Stattdessen sind sowohl Struktur als auch individuelles Verhalten (Agency) zu betrachten. Dies bestätigt die Analysen aus den früheren Papieren zu Structure and Agency in the Dynamics of Growth sowie Exploring preconditions for a stationary economy: The role of the golden rule and the central bank dilemma.

Der Beitrag „How imperative are the Joneses? Economic Growth between Individual Desire and Social Coercion“ (VÖÖ Discussion Paper 4) liefert eine sehr ausführlich begründete Definition des Begriffes „Wachstumszwang“, der bislang nur auf der Makroebene oder ansonsten eher umgangssprachlich definiert ist. Ausgehend von dieser Definition untersuchen wir dann verschiedene in der Literatur aufgestellte Hypothesen, dass Nachfrager (Konsumenten) oder Anbieter (Produzenten) aufgrund sozio-kultureller Mechanismen einem Wachstumszwang unterliegen würden (Stichwort „Wachstumsparadigma in den Köpfen“). Wir zeigen, dass diese Hypothesen nicht tragfähig sind: Entweder verweisen sie letztlich auf ökonomischen Druck (wozu auch Wettbewerbsvorteile durch sogenannte Innovationen gehören), oder sie erfüllen nicht unsere Anforderungen an einen Wachstumszwang.

Der Artikel „Fear of stagnation? A review on growth imperatives“ (VÖÖ Discussion Paper 6) baut auf den beiden anderen auf und rundet unsere Analyse ab: Wir gehen durch die „klassischen“ und neuen Theorien, warum die Ökonomie einem Wachstumszwang unterliege: Geld, Wettbewerb und Gewinnorientierung, Technischer Fortschritt, staatliche Wachstumspolitik und sozio-kulturelle Mechanismen (wobei wir bei Geld und sozio-kulturellen Mechanismen auf unsere anderen Artikel verweisen). Unser Ergebnis ist eindeutig: Nur der sogenannte Technische Fortschritt, der recht einseitig menschliche Arbeit durch maschinellen Ressourcenverbrauch ersetzt, hat das Potential, eine auf Marktwirtschaft basierende Gesellschaft „in den Wahnsinn zu treiben“. Die vordergründig treibende Kraft ist eine staatliche Wachstumspolitik, die jedoch vor allem auf die durch Prozessinnovationen verursachte „technologische Arbeitslosigkeit“ reagiert, welche durch neue Produktinnovationen nicht verlässlich kompensiert wird. Akkumulation, Ungleichheit und Kreditgeld (Finanzierung ohne vorhergehendes Sparen) verstärken das Problem durch verschiedene Effekte. Es ist also nicht so, dass nur ein Mechanismus „verantwortlich“ ist, aber wir betrachten Technischen Fortschritt (bzw. den entsprechenden Ressourcenverbrauch) durchaus als obersten Punkt in einer „Hierarchie der Ursachen“. Ein Ausweg aus dem Dilemma könnten institutionelle Verbrauchsbegrenzungen (Cap & Trade) und die Begrenzung von Akkumulation sein. Die Überwindung von Marktwirtschaft ist dafür nicht erforderlich.

Koordinator: Oliver Richters

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